Frau Knuth, ab wann gilt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG)?
Die vom BAG titulierte Verpflichtung gilt ab sofort. Da das BAG entschieden hat, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung unmittelbar aus dem Arbeitsschutzgesetz folgt, bedarf es grundsätzlich keines Umsetzungsaktes des Gesetzgebers mehr zur Verbindlichkeit. Es handelt sich um eine objektive gesetzliche Handlungspflicht aller Arbeitgeber:innen.
Dennoch hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits im September angekündigt, den Beschluss des BAG in Gesetzesform zu gießen und die Voraussetzungen für die Zeiterfassung zu konkretisieren. Einen praxistauglichen Vorschlag für die Ausgestaltung im Arbeitszeitgesetz will es nach eigener Aussage im ersten Quartal des Jahres 2023 machen.
Müssen Arbeitgeber:innen, die dem Urteil nicht nachkommen, Konsequenzen befürchten?
Aktuell hat die Nichteinführung eines Zeiterfassungssystems noch keine unmittelbaren Konsequenzen, ist also weder straf- noch bußgeldbewährt. Dies liegt daran, dass ein Verstoß nicht von den entsprechenden Straf- und Bußgeldvorschriften des Arbeitsschutzgesetzes erfasst wird.
Da allerdings, wie bereits erwähnt, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine gesetzliche Umsetzung des BAG Beschlusses beabsichtigt, ist auch mit einer entsprechenden Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften zu rechnen. Allen Arbeitgeber:innen ist daher bereits jetzt anzuraten, die Einführung eines Zeiterfassungssystems in den Blick zu nehmen.
Was heißt „Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung“ genau?
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung beinhaltet die Einführung eines Zeiterfassungssystems (sofern noch nicht vorhanden), die Umsetzung dieses Systems im Unternehmen sowie die Kontrolle, dass das System durch die Angestellten angewendet wird.
Konkret zu erfassen ist die tatsächliche Arbeitszeit der Angestellten. Dies meint die Erfassung des Beginns und des Endes, also der Dauer der Arbeitszeit, einschließlich der Pausenzeiten sowie etwaig geleisteter Überstunden. Nicht ausreichend ist, dass der Arbeitgeber es seinen Arbeitnehmenden lediglich freistellt, das System zu nutzen.
Ist die Möglichkeit von Vertrauensarbeitszeit nunmehr passé?
Nein, Vertrauensarbeitszeit bleibt auch weiterhin möglich. Bei Vertrauensarbeitszeit handelt es sich um ein Arbeitszeitmodell, das durch weitestgehend eigenverantwortliche Ver- und Einteilung der Arbeitszeit durch den/die Arbeitnehmer:in geprägt ist, verbunden mit einem Verzicht auf Arbeitszeitkontrolle durch den/die Arbeitgeber:in, welche/n nur das Arbeitsergebnis interessiert. Der Beschluss des BAG führt nunmehr dazu, dass Arbeitgeber:innen hierbei nicht mehr gänzlich darauf verzichten können, die Arbeitszeit der Arbeitnehmenden, die in Vertrauenszeit arbeiten, zu erfassen. Auch bei ihnen muss Beginn, Ende und Dauer der geleisteten Arbeit erfasst werden. Möglich wird dies durch eine Delegation der Erfassung der Arbeitszeit an die Arbeitnehmer:innen, welche das BAG ausdrücklich für zulässig erachtet hat.
Die letzte Frage: Gibt es Ausnahmen von der Pflicht zur Zeiterfassung?
Das BAG hat in seinem Beschluss die Pflicht zur Zeiterfassung auf die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer:innen erstreckt. Daneben betonte es jedoch, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bliebe, Ausnahmen von dieser Pflicht vorzusehen. So könnten insbesondere für Arbeitnehmer:innen, deren Arbeitszeit aufgrund besonderer Merkmale ihrer ausgeübten Tätigkeit schwer mess- oder vorherbestimmbar ist, Ausnahmen gelten. Möglich wären dann besondere Regelungen beispielsweise für Chefärzte oder leitende Angestellte. Eine gesetzliche Regelung bleibt diesbezüglich abzuwarten
Danke für Ihre ausführlichen Einschätzungen zu den rechtlichen Auswirkungen des BAG-Urteils zur Zeiterfassung.